Theologe, Mathematiker, Physiker und Astronom

Christoph Scheiner

In der Geschichte der Naturwissenschaften erblickt man in Christoph Scheiner einen der führenden und verdienstvollen Forscher des 17. Jahrhunderts, der eine erstaunliche praktische Geschicklichkeit mit einer seltenen Beobachtungsgabe verband. Als einfallsreicher Erfinder physikalischer und optischer Instrumente trug er maßgeblich zur Entwicklung der astronomischen Fernrohre bei, als Naturforscher wurde er zum Mitbegründer der physiologischen Optik und zum Mitentdecker der Sonnenflecken, die er als erster durch genaue Untersuchungen wissenschaftlich exakt nachwies. Der Theologe Scheiner versäumte es nicht, die neuen Erkenntnisse und Erfahrungen der Naturwissenschaften mit dem christlichen Weltbild in Einklang zu bringen. Ein Krater im Südostquadranten des Mondes trägt den Namen des schwäbischen Jesuitenpaters.

Christoph Scheiner wurde am 25. Juli 1575 in Irmatshofen auf dem Wald geboren. Die Urbare von 1568 und 1624 berichten von einem Hans Scheiner in Sohler, einem Ortsteil von Irmatshofen, vermutlich der Vater, aber auch von einem Jacob Scheiner in Irmatshofen. Im Jahre 1975 wurde das Haus Nummer 60 des Scheinerbauern abgebrochen. Es galt lange Zeit als das Geburtshaus. Christoph aber soll in einem nicht näher bezeichneten Haus beim Schloß in Irmatshofen das Licht der Welt erblickt haben.

1981 wurde die Straße, an der das abgebrochene Haus stand, durch Gemeinderatsbeschluß “Christoph Scheiner-Straße” benannt. Eine Gedenktafel an der Ostseite des ehemaligen Schulhauses und heutigen Rathauses der Marktgemeinde Markt Wald erinnert an den großen Sohn der einstigen Herrschaft. Auf Betreiben des praktischen Arztes Doktor Stechele wurde die Gedenktafel am 15. August 1899 angebracht. Die Gemeinde stiftete hierzu 100 Mark das gleiche tat der damalige Pfarrer Geistlicher Rat Leckenwalter. Er ließ auch nach einem Bildnis in der Walhalla bei Regensburg durch den Kunstmaler Thoma ein Porträt in Öl anfertigen und machte es der Schule zum Geschenk.

Christoph Scheiner

Heute hängt dieses Gemälde im Sitzungssaal des Rathauses; es wurde auf Initiative des ehemaligen Bürgermeisters Erwin Baumeister durch den Malermeister Richard Haab Anfang der achtziger Jahre restauriert. Im Jahre 2000 zum 425jährigen Jubiläum von Christoph Scheiner wurde die Grundschule Markt Wald “Christoph-Scheiner-Schule” getauft.

Da Christoph Scheiner schon frühzeitig für den geistlichen Stand bestimmt schien, besuchte er ab 1590 das Jesuitengymnasium St. Salvator in Augsburg, eine Lateinschule, die seit dem Jahre 1580 von den Jesuiten geleitet wurde. Man schickte ihn anschließend auf das Jesuitenkolleg in Landsberg am Lech, wo er am 23. Oktober 1595 in den Jesuitenorden aufgenommen wurde. Er absolvierte das zweijährige Noviziat und legte am 23. Oktober 1597 das Scholastikergelübe in die Hände des Paters Stör ab. Die niederen Weihen erteilte ihm am 19. September 1598 Weihbischof Sebastian Breuning in Augsburg. Nachdem er seine Studien der Beredsamkeit abgeschlossen hatte, wurde er 1600 zum Studium der Metaphysik und Mathematik an die Hochschule Ingolstadt versetzt.

Der Mathematikprofessor Pater Johann Lang, dessen Nachfolger er später einmal werden sollte, erkannte und förderte Scheiners ausgeprägtes Interesse für die Naturwissenschaften. Der Student selbst fand an dieser Disziplin großen Gefallen und erreichte durch besonders großen Eifer bald den Magistergrad.

Ab 1603 unterrichtete er die unteren Gymnasialklassen des Dillinger Jesuitenkollegs in Latein und versah den Präfektendienst.

In der Freizeit beschäftigte sich Scheiner, angeregt durch Hinweise eines Malers, mit einem Vergrößerungsgerät für Zeichnungen. Der befreundete Maler hatte ihm von einem solchen Mechanismus zum Übertragen auf ein Zeichenblatt erzählt, verriet ihm aber das Geheimnis trotz wiederholter Bitten nicht. Scheiner dachte lange über das Problem nach, bis ihn ein Traum schließlich auf die richtige Spur brachte. In der Nacht vom 19. auf den 20. Januar 1603 konstruierte er aufgrund mathematischer Überlegungen ein Gerät, dem er den Namen “Parallelogrammos” gab. Der”Panthograph” oder, wie wir heute sagen, der “Storchenschnabel” war erfunden, ein höchst einfaches und sinnreiches Gerät, das in verbesserter Form heute wie damals dazu dient, Vorlagen und Zeichnungen in gleichem, vergrößertem oder verkleinertem Maßstab wiederzugeben. Auf sehr bezeichnende Art und Weise war Scheiner zu dieser bahnbrechenden Erfindung gekommen, denn sein Pantograph hatte nichts zu tun mit dem Gerät des Malers.

Panthograph

Diese revolutionäre Erfindung allein hätte schon seinen dauernden Ruhm begründen können. Anfangs hatten nur wenige Vertraute Kenntnis, erst während seines Aufenthaltes in Rom veröffentlichte er 1631 ein Buch darüber. Obgleich Scheiner den Pantographen geheimhalten wollte, sprach sich die bahnbrechende Erfindung in einschlägigen Kreisen herum und mache ihn über die Ordensgrenzen hinaus bekannt. Das Instrument führte er Herzog Wilhelm V. zuerst vor, der sich bekanntermaßen intensiv mit Kund und Wissenschaft befasste. Er ließ den jungen Magister 1606 in die Residenzstadt München kommen, um sich über die vielfältigenn Verwendungsmöglichkeiten unterrichten zu lassen.

Zu theologischen Studien kam der “frater scholasticus” Scheiner 1605 an die Ingolstädter Universität zurück. Er wohnte im Jesuitenkolleg, dem heutigen Canisiuskonvikt. Der gewandte Magister, der ich auch später einer eindringlichen, wenn auch sehr wortreichen Sprache bediente, wirkte 1606 als Repetitor der Logik und 1608 für Physik am Jesuitenkonvikt. Im Frühjahr 1609 erteilte ihm Weihbischof Markus Lyresius von Eichstätt am 14. März die Subdiakonats- und einen Monat später die Diakonatsweihe.

Am 18. April 1609 empfing er die Priesterweihe.

Das dritte praktische Probejahr verbrachte er nun in Ebersberg. Am 15. Oktober 1610 wurde Scheiner Ordinarius an der Universität Ingolstadt. Als Nachfolger seines Lehrers Pater J. Lanz erhielt er den Lehrstuhl für Mathematik und Hebräisch. Der Studienplan erforderte auch die Unterweisung in praktischer Optik, Stereometrie, astronomischen Geräten und im Weltbild des Ptolemäus. Seinen Schülern erklärte er den Pantographen und leitete sie damit von der theoretischen zur praktischen Mathematik und ihrem damaligen Hauptanwendungsgebet; der beobachtenden, praktischen Astronomie an. Mit seiner außergewöhnlichen handwerklichen Geschicklichkeit baute er 1607 an einem Tag einen hölzernen Sextanten, um die Bahn eines neuen Kometen besser vermessen zu können. Vor allem aber musste in jener Zeit die Astronomie sein besonderes Interesse erweckt haben. Dies war schon deshalb nicht verwunderlich, nahm doch gerade diese Wissenschaft damals einen gewaltigen Aufschwung. Der Kampf gegen die “aristotelische Weltanschauung” hatte eben begonnen. Der berühmte Nikolaus Kopernikus (1473-1543) war dreißig Jahre tot, eine Reihe hervorragender Zeitgenossen belegen die explosionsartige Entwicklung: Tycho Brahe (1546-1601), Johann Kepler (1571-1630) und im Besonderen Galileo Galilei (1564-1642).

Galileo Galilei

Die sensationellen astronomischen Entdeckungen des Letzteren erregten die gesamte damalige gelehrte Welt und sollten für Christoph Scheiners Lebensweg noch von schicksalshafter Bedeutung werden.

Galilei baute ein Fernrohr nach, das auf der Vereinigung einer Konvex- mit einer Konkavlinse beruhte. Dabei wurde das Bild im Objektiv eingefangen und durch die Zerstreuungslinse vergrößert betrachtet. Sein eigentlicher genialer Gedanke aber war, das Fernrohr für die Himmelsbeobachtung, also für die Astronomie, einzusetzen. Er war sehr wahrscheinlich der erste Gelehrte, der es auf die Sterne richtete, denn viele der Wissenschaftler weigerten sich durch ein Fernrohr zu schauen, weil sie meinten, was man dort nicht sähe, gäbe es überhaupt nicht. Einer der wenigen, der die Erkenntnisse Galileis anerkannte, war Kepler in seinem Brief am 11 August 1610. Wie selten jedoch damals noch ein derartiges Instrument in Deutschland war, mag daran zu sehen sein, daß Kepler erst Ende des Jahres 1610 selbst die Monde des Jupiter zu Gesicht bekam. Auch die Qualität der Instrumente selbst ließ viel zu wünschen übrig.

Schlag auf Schlag folgten nun die Beobachtungen des florentinischen Hofmathematikers; er sah als erster die Mondgebirge, im Oktober 1610 die vier Jupitermonde, die er zur Ehre seines Fürstenhauses “Mediceische Sterne” nannte und er entdeckte, dass die Milchstraße aus unzähligen Sternen besteht. Seine Schrift vom März 161 0 “Nuntius Sidereus”, der Sternenbote, mit der Beschreibung seiner Beobachtungen erregte großes Aufsehen in der Öffentlichkeit. Leidenschaften, Zweifel, Spott, Gegenschriften, oft in grober Ausdrucksweise, folgten den Entdeckungen. Der neu ernannte Professor Scheiner verfolgte die Entdeckungen Galileis mit großer Begeisterung. Er besaß auch die Möglichkeit, den Sternenboten Galileis zu lesen und war überzeugt, daß alles seine Richtigkeit habe. Es scheint nicht lange gedauert zu haben, bis es ihm gelang, einige dieser Fernrohre zu besitzen. Da sein Ordensprovinzial Busäus ebenfalls etwas für die Astronomnie übrig hatte, durfte Scheiner sich im Turm der Heilig-Kreuz-Kirche in Ingolstadt ein Stübchen als private Sternwarte einrichten. Dort fand er die Beobachtungen Galileis bestätigt.

Am Morgen des 6. März 1611 beobachtete Scheiner gemeinsam mit seinem Meisterschüler Pater Cysat vom Turm der Kreuzkirche die Sonne. Dies war nur dann möglich, wenn Nebel die Leuchtkraft der Sonne soweit abschwächte, dass sie, ohne stark geblendet zu werden, in die Sonne blicken konnten. Verwundert stellten beide fest, dass es mit der absoluten Reinheit der Sonne im Sinne der Philosophie des Aristoteles nicht weit her sein konnte. Sie erkannten dunkle Flecken auf ihrer Oberfläche. Nach reiflicher Überlegung kamen die beiden Beobachter zunächst überein, über diese unerwartet bahnbrechende Entdeckung der Sonnenflecken zu schweigen, wohl deshalb, weil dann die bisher unumstößliche Weltvorstellung der aristotelischen Philosophenschule schlagartig ins Wanken geraten wäre. Der exakte Wissenschaftler Scheiner wollte sich durch weitere Beobachtungen von der unbedingten Richtigkeit überzeugen.

Christoph Scheiner

Pater Cysat kam darauf, dass durch den Einsatz farbiger Gläser, wie es die Seefahrer taten, wenn sie die Sonnenhöhe bestimmten, der strahlende Sonnenball bei klarem Wetter beobachtet werden könne. Schließlich wurde jeder subjektive Fehler dadurch ausgeschlossen, dass hinter ein im Turmdach gebohrtes erbsengroßes Loch ein von Kepler vorgeschlagenes und von Scheiner gebautes astronomisches Fernrohr, das nur Sammellinsen enthielt (acht Tuben verschiedener Größe), montiert wurde und auf einer Tafel das vergrößerte Sonnenbild aufgefangen wurde. Dieses sogenannte “Heliotropium”, das erste parallaktisch montierte Fernrohr, gestattete die Wanderung (Rotation) der Flecken auf der Sonnenscheibe und ihre Form aufzuzeichnen. Beide hatten nun die Gewißheit, dass ihre erste Einsicht keine Täuschung war. Die übrigen Professoren der Ingolstädter Hochschule wurden informiert, der vorgesetzte Provinzial Busäus, ein überzeugter Aristoteliker, riet zur Vorsicht und die Legende berichtet, dass er gesagt haben soll, “dass er etwas sehen wolle, wovon bei Aristoteles nichts zu lesen sei”. Die Ordensbrüder, allen voran der Theologieprofessor Adam Tanner und der Philosophieprofessor Felix Simon, wandten sich dagegen und beschimpften Scheiner als “sectator novitatum”(Neuerungsfanatiker). Der in Augsburg ansässige Patrizier, Stadtschreiber, Bürgermeister und Historiker Marcus Welser (1588-1614), der Scheiner schon von seinen Augsburger Studientagen her kannte, hörte von den Entdeckungen, und da er nicht nur ein Freund und Gönner Scheiners war, sondern auch ein großer Mäzen der Wissenschaften und mit dem praktischen Sinn eines Kaufmanns begabt war, schlug er sofort eine Veröffentlichung vor, damit kein anderer den Lorbeer pflücken könnte.

Christoph Scheiner

Die Vorbehalte seiner Ordensvorgesetzten bedenkend entschloss sich Scheiner, seine beobachteten Erkenntnisse in drei Briefen vom 12. November, 19. und 26. Dezember 1611 darzulegen; dazu illustrierte er das Wesen der Sonnenflecken mit 40 Zeichnungen und vertrat dabei die Auffassung, die Sonnenflecken sind Schatten zahlreicher, nahe an der Sonne vorbeiziehender Himmelskörper. Noch im Dezember schrieb Welser über Scheiners Beobachtungen an Gallilei, am 5. Januar 1612 ließ er die drei Briefe Scheiners unter dem Pseudonym “Apelles” (latens post tabulam) drucken und sandte je ein Exemplar an Kepler und Galilei. Der Ordensprovinzial hatte wegen seiner und der Ordensbrüder großen Bedenken nur dieser anonymen Veröffentlichung zugestimmt. Diese drei Briefe waren später die Grundlage bei dem unseligen Prioritätenstreit zwischen Scheiner und Galilei.

Galilei maß zunächst seinen Entdeckungen keine allzu große Bedeutung bei und er antwortete Welser erst nach wiederholter Bitte am 4. Mai 1612. Er sei besorgt um die Priorität der Entdeckung und behauptete, die Flecken schon vor 18 Monaten, also im Oktober/November 1610 beobachtet und Freunden gezeigt zu haben. Wie aus dem Bericht eines Galilei-Biographen hervorgeht, zeigte Galilei im April 1612 im Garten des Kardinals Bandini auf dem Quirinal diesem und anderen Prälaten und Patres die Sonnenflecken. Seine Erklärung für die Sonnenflecken besagte, dass sie Wolken seien, die in der den Sonnenkörper umkreisenden Atmosphäre schwimmen. Galilei wollte den Apelles gerne kennen lernen, denn der Unbekannte sei ein Mann von freiem Geist und äußerst zugänglich für neue Wahrheiten. Leider ist dieses anfängliche Lob dem späteren gehässigen Prioritätenstreit zum Opfer gefallen. Ob Pater Scheiner damals überlegt hat, die kopernikanische Idee und damit die Hypothese Galileis, dass die Sonne von der Erde umkreist wird, zu übernehmen, ist schwer zu sagen. In seinem zweiten Brief an Marcus Welser vom 19. Dezember 1611 mag ein Hinweis darauf sein, denn zu diesem Zeitpunkt beobachtete er eine Konjunktion von Venus und Sonne.

Bevor Scheiner diese Antwort Galileis vom 4. Mai 1612 kannte, Welser musste den Brief erst aus dem Italienischen übersetzen lassen schrieb er zwei weitere Briefe zusätzlich an Marcus Welser (16. Januar und 14. April 1611. Dabei hielt er an der Ansicht, die Flecken seien Schatten von um die Sonne kreisenden Körpern fest. Durch geschickte Beobachtungen war ihm aber bereits die Veränderlichkeit von Farbe und Form der Flecken aufgefallen und er verglich sie mit schwarzen Wolken. Auch die beiden Eigenbewegungen der Flecken, ihre scheinbare Wanderung vom Ostrand zum Westrand der Sonne werden angegeben. Um die Existenz der Sonnenflecken wissenschaftlich exakt und konkret zu beweisen, verwendete er die auch von Kepler schon angewandte sogenannte “Projektionsmethode”, d.h. er projizierte das Bild der Sonne auf ehe weiße Fläche, in dem er die Strahlen durch eine runde Öffnung in ein abgedunkeltes Zimmer fallen ließ und er fing die Strahlen mit einem geneigten Spiegel auf, der sie auf eine weiße Tafel warf und sie so sichtbar machte.

In seinem sechsten Brief an Weiser freutee sich Scheiner noch über die Übereinstimmungen mit Galilei und ging im Einzelnen nicht auf diesen ein. Zusammen mit Pater Cysat fertigte er immer neue Bilder der Flecken, ihrer Formen und Bahnen an. Weiser ließ die drei letztgenannten Briefe Scheiners 1612 in Augsburg erscheinen und wieder erhielten alle Bekannten, darunter Galilei und Kepler, die kleine Druckschrift. Galilei antwortete Weiser in zwei Briefen vom 14. August und 1. Dezember 1612. Er bezeichnete die zweite Veröffentlichung des Apelles als Antwort auf seinen ersten Brief vom 4. Mai 1612, obgleich er doch schon sehen konnte, dass die ersten beiden der drei Briefe vor seinem ersten Brief geschrieben wurden. Hierdurch entstand der falsche Eindruck, dass die in diesen beiden Briefen von Scheiner angegebenen neuen Erkenntnisse von der Eigenbewegung der Flecken schon vorher Galilei bekannt waren. Beobachtungsmethode und Resultate Scheiners wurden von Galilei hart kritisiert.

Die Entdeckung eines fünften Jupitermondes, die Apelles am 30. März 1612 gemacht zu haben glaubte, wird als Irrtum zurückgewiesen. Scheiner hatte vermutlich einen Fixstern mit veränderlicher Lichtintensität für einen weiteren Mond gehalten und wollte dessen Namen der Familie Welser widmen. Die hochfahrende und überhebliche Art des Florentiners verletzte Pater Scheiner, sah er doch darin eine Leugnung seiner geistigen Leistungen; er wehrte sich gegen den Vorwurf des betrügerischen Plagiats, demzufolge Apelles nach Ansicht Galileis angeblich von seiner Entdeckung erfahren und sie früher veröffentlicht habe. Der Jesuit konnte nicht offen auftreten und musste sich hinter seinem Pseudonym verborgen halten.

Bei der Vielseitigkeit und Unermüdlichkeit seines wissenschaftlichen Schaffens wird Scheiners Name sicher zu Unrecht fast ausschließlich in der Fachliteratur mit der Entdeckung der Sonnenflecken und dem unrühmlichen Prioritätenstreit mit Galilei in Verbindung gebracht. Beinah müßig erscheint der Disput, wenn man bedenkt, daß manche Quellen davon berichten, dass die Chinesen bereits 301 nach Christus eben die gleiche Entdeckung machten.

Als erster hielt Scheiner Vorlesungen über Fernrohre (Tractus de tubo optico) und zeigte deren Brauchbarkeit für Kriegstechnik, Feldmessung und Astronomie auf. Seine segensreiche Tätigkeit an der Universität entfaltete eine Fülle weitreichender Aktivitäten. Für Disputationen wurden unter seiner Leitung Kollegienschriften verfaßt, die die Vielseitigkeit seiner Forschungen und Vorlesungen wiederspiegeln. So standen Untersuchungen über die “Strahlenbrechung des Lichts” veröffentlicht in “Sol ellipticus” neben Schriften über Prinzipien verschiedener mathematischer Disziplinen; u.a. eine Erläuterung zum 5. Buch des Euklid. Da wurde ein Instrument beschrieben, mittels denen man sämtliche Kegelschnitte mechanisch mit hinreichender Genauigkeit zeichnen kann: ein Zirkel, mit dem sich alle Arten von Kegelschnitten, wie sie bei Sonnenuhren benötigt werden, leicht herstellen ließen. Astronomische Vorlesungen behandelten die Phasen der Veus und die Erscheinung des Saturn, es wurden Weltsysteme besprochen und die älteste Mondkarte wurde entworfen, Daneben widmete der Professor sich der “Sonnenuhrenkunde” – “Exegesis fundamentorum gnomicorum” (1615) – Theorie der Sonnenuhren und die praktische Herstellung derselben.

Um Galilei versöhnlich zu stimmen versuchte Scheiner wiederholt ihn um eine Stellungnahme zu kontroversen astronomischen Fragen zu bitten. Im April 1615 schickte er seinem Kontrahenten die Neuerscheinung” Sol eilipticus”, in der es um die merkwürdige, abgeplattete Abweichung der Sonne von der Kugelgestalt ging, die er beim Sonnenuntergang beobachtet hatte. Die Brechung der Lichtstrahlen in der Atmosphäre machte er dafür verantwortlich. Galilei antwortete erst acht Jahre später in einer gegen den Jesuitenpater gerichteten Streitschrift “Il Saggiatori” und wertete die genannte Entdeckung als bedeutungslos ab. Darüber hinaus erhob er üble Beschimpfungen im Zusammenhang mit dem Plagiatsvorwurf, die völlig ungerechtfertigt waren und Anlaß gaben zu dem bedauerlichen, rund zwanzigjährigen Streit der beiden Gelehrten, ihrer Schüler und Anhänger.

Durch seine Forschungen und Schriften erweckte der Jesuit die Aufmerksamkeit des habsburgischen Kaiserhauses. Erzherzog Maximilian III. von Tirol, Bruder Kaiser Rudolfs II., der der Herrschaft Irmatshofen auf dem Wald 1493 das Marktrecht verlieh und der Gelehrte wie Tycho Brahe und Johannes Kepler förderte, ließ ihn 1614 und 1616 nach Innsbruck kommen. Der Erzherzog hatte ein astronornisches Fernrohr erstanden, das sich aber nicht zur Beobachtung von Erdzielen eignete, weil die Bilder alle seitenverkehrt auf dem Kopf standen. Durch Einbau eher dritten Umkehrlinse war der Kummer des Fürsten schnell behoben. Dem über so schnelle Hilfe begeisterten Herzog gefiel Scheiners gerades, offenes und bedächtiges Wesen und er stellte ihm einen Wunsch frei. Der gelehrte Jesuitenpater erbat sich für das Innsbrucker Jesuitenkolleg einen Bauplatz für eine Kirche. Im Jahre 1616 übersiedelte er ganz in die Tiroler Landeshauptstadt. Sein Schüler Pater Cysat wurde Nachfolger auf dem Lehrstuhl in Ingolstadt.

Scheiner begleitete Erzherzog Maximilian auf seinen Reisen: Ende 1616 nach Wien im Februar 1617 nach Prag, wo er die Instrumente des berühmten Astronomen Tycho de Brahe in des Kaisers Gartenhäuschen fand. Am 31. Juli 1617 legte er am Ingolstädter Kolleg die Professgelübde des Ordens ab: Armut, Keuschheit und Papstverpflichtung. Im August des gleichen Jahrs übernahm er die Bauleitung der Kreuzkirche in Innsbruck. Zu Lebzeiten Maximilians kam es nur zu vorbereitenden Arbeiten. Christoph Scheiner sorgte sich um die finanzielle Seite des Kirchenbaues.

Wissenschaftlich noch kaum gewürdigt sind heute Scheiners optische Studien in jenen Jahren, deren Erkenntnisse während seiner Innsbrucker Tätigkeit in Ingolstadt veröffentlicht wurden “Oculus hoc est fundamentum opticum” (1619). Er gilt als Mitbegründer der physiologischen Optik, zusammen mit Kepler Der Pater ging hier den Weg der Beobachtung und des Experiments durch sinnreich erdachte Versuche. Mit dem nach ihm benannten Versuch bewies er die Akkomodation des Auges auf die jeweilige Entfernung der scharf abzubildenden Gegenstände. Er zeigte auf, dass die Netzhaut das Organ des Sehens sei und er berichtete erstmals von dem Phänomen der umgekehrten, auf dem Kopf stehenden Bilder auf der Netzhaut des Auges und dem seitlichen Austritt des Sehnervs aus dem Augapfel.

Da starb ganz plötzlich Pater Scheiners Gönner Erzherzog Maximilian am Allerseelentag 1618. Im darauffolgenden Jahr wurde Erzherzog Leopold, Bischof von Straßburg und Passau, Bruder Kaiser Ferdinands II.,

Regent in Tirol. Er brachte Scheiner ebenso großes Vertrauen und Wohlwollen entgegen. Bald nach seinem Regierungsantritt legte er den Grundstein zur neuen Jesuitenkirche in Innsbruck und betraute Pater Scheiner mit der Leitung des Baus Diese kirche stürzte leider 1626 ein, weil sich die Bauherren nicht an seine statischen Vorgaben hielten.

In der Zwischenzeit war in Böhmen der Krieg ausgebrochen und keiner ahnte, dass er 30 Jahre dauern und das Reich in tiefstes Elend stürzen sollte. Die protestantischen Hochburgen bedrohten u.a. den katholischen Glauben in Freiburg im Breisgau, der Hauptstadt Vorderösterreichs. Der Jesuitenorden hatte neben wissenschaftlichen Bestrebungen auch religiös-erzieheri-sche Missionsaufgaben zu erfüllen. Bischof und Erzherzog Leopod, der Regent in Tirol, gründete deshalb in Freiburg ein Jesuitenkolleg und berief am 16. November 1620 mit anderen gelehrten Patres auch Christoph Scheiner auf den Lehrstuhl für Mathematik. Er erhielt 130 Gulden für den Bau einer Sternwarte auf dem Universitätsdach und ließ Bücher und Instrumente ankaufen. Ehe die Sternwarte auch nur begonnen wurde, kehrte Scheiner nach Innsbruck zurück; die Gründe bleiben unbekannt.

Aber auch hier war seines Bleibens nicht lange. Kaiser Ferdinand II., Vorgänger Kaier Rudolf II. hatte 1609 den Protestanten der drei weltlichen Stände Böhmens Religionsfreiheit gewährt und gestattet, eigene Kirchen zu bauen. Dasselbe wünschten sich die Protestanten Schlesiens von Erzherzog Karl Ernst, seit 1608 Bischof von Breslau, seit 1609 von Brixen und Großmeister des Deutschen Ritterordens. Der Kirchenfürst lehnte ab und ließ die Gesandten der Bürger Neisses nach ihrer Rückkehr festnehmen. Der daraufhin ausbrechende Aufstand veranlasste ihn im Frühjahr 1620 zur Flucht aus seiner Residenzstadt Neisse über Polen zu seinem Bruder Leopold nach Innsbruck.

In Innsbruck lernte er Scheiner kennen und schätzen. Dieser wiederum gewann Einfluss auf den jungen Erzherzog, vielleicht legte er auch auf Scheiners Rat hin das Gelübde ab, falls er nach Neisse zurückkehren könne, wolle er dort ein Jesuitenkollegium errichten. Der Wunsch des geflüchteten Bischofs war, diesen Jesuitenpater als Beichtvater zu gewinnen. Der Hofbeichtvater eines katholischen Fürsten hatte eine Schlüsselstellung, seit durch den Augsburger Religionsfrieden dem Landesfürsten das Recht eingeräumt war, die Konfession seiner Landeskinder zu bestimmen (cuius regio, eius religio). Nach großen Bedenken stimmte der Ordensprovinzial zu, zumal er meinte, Scheiner fehle die seelsorgerische Welterfahrung und die Erfahrung des Hofintrigenspiels. Schließlich stimmte der Orden zu, wohl auch deshalb, weil der Kaiser sein Vertrauen zu Scheiner durch ein Geldgeschenk von 3 000 Gulden für die Kreuzkirche in Innsbruck unterstrich. Auf Grund der Wirren des 30-jährigen Krieges konnten Erzherzog Karl Ernst und Pater Scheiner erst im Herbst 1621 nach Neisse zurückkehren.

Am 11. Februar 1623 wurde Pater Scheiner zum Superior des zu errichtenden Gymnasiumkollegs bei der Pfarrkirche St. Jakob in Neisse berufen. Auf ihn als Rektor mit acht Patres und vier Magistern wartete nach Eröffnung der Schule am 21 April 1623 eine Fülle von Arbeit. In harmonischer Zusammenarbeit mit dem Bischof legte der Rektor Scheiner mit großer handwerklicher Geschicklichkeit und Können Laboratorien, ja sogar eine Goldschmiedewerkstatt an. Auf Wunsch des Bischofs wurde das Münzwesen neu geregelt, eine Arbeit, die ihm ob eines ungetreuen Mitarbeiters viel Kummer einbrachte, doch niemals das Vertrauen seines Herrn gefährdete.

Da brachte das Frühjahr 1624 wiederum völlig überraschend eine Wende. Der junge König Philipp IV. von Spanien (1621-1665) erbat von Kaiser Ferdinand dessen jüngsten Bruder Erzherzog Karl Ernst, den Bischof von Breslau, als Statthalter in Portugal und Belgien. Kaiser und Bischof willigten ein und so verließ Rektor Scheiner im Sommer 1624 Neisse. Im Gefolge des Bischofs kam er am 21. Juni 1624 nach Wien, wo er einen schwierigen Auftrag für den Vatikan in Rom erhielt. Erzherzog Leopold, Bischof von Passau und Straßburg, wollte diese Ämter niederlegen. Das Haus Wittelsbach in Bayern erhob Anspruch auf den Passauer Bischofsstuhl. Scheiner sollte in Rom versuchen, seinem Bischof Karl Ernst die Koadjutorstelle in Passau und damit den Habsburgern das Recht der Nachfolge zu sichern. Neben diesem politischreligiösen Auftrag wollte Scheiner auch die Gründungsstellung des Jesuitenkollegs in Neisse festigen.

Über den weiteren Reiseweg der beiden Herren sind sich die Biographen nicht einig. Zum einen erfahren wir: Scheiner und Erzherzog Karl Ernst reisten am 24. August 1624 über Mailand und Florenz, wo der Erzherzog seine Schwester Magdalena, die Witwe des früh verstorbenen Cosimo II., des Landesherrn Galileis, besuchte. In Genua nahm Scheiner vom Erzherzog Abschied, der am 24. November 1624 in Madrid begeistert und mit großem Pomp begrüßt wurde. Schon vier Tage später nur 35 Jahre alt, verstarb er am Fieber. Ein anderer Biograph berichtet: Am 22. August brach der Erzherzog in Wien auf, am 6. September kam er mit Begleitpersonal nach Innsbruck. Dort trennten sich die Herren und Erzherzog Karl Ernst reiste über Livorno, von wo er nach Spanien segelte und am 24. November 1624 in Madrid eintraf. Am 28. Dezember starb er an hohem Fieber. Scheiner jedoch begab sich erst Ende Oktober von Innsbruck aus nach Rom. Scheiner blieb länger in Rom als wohl für die oben genannten Gründungsangelegenheiten und wegen des politschreligiösen Auftrags notwendig war. Es gibt auch darüber mehrere Meinungen und manche Spekulation, so z.B., dass er als astronomischer Fachmann wegen des Streits mit Galilei nach Rom berufen wurde, oder dass er den Aufenthalt im entlegenen Neisse als Versetzung in die Provinz empfunden habe. Es dauerte immerhin zwölf Jahre, bis er von Rom über einen Aufenthalt in Wien im Jahre 1636 wieder nach Neisse zurückkam.

Scheiners Freunde in Rom bedrängten ihn, alle philosophischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zusammenzufassen. Galilei hatte mit seinen Schriften in der Zwischenzeit viel Unruhe und auch Unsicherheit gestiftet. Schon 1623 hatte der Florentiner in seinem Buch “Il Saggiatore” (Goldwaage) Scheiner den Vorwurf geistigen Diebstahls gemacht. Der Pater hatte den Vorwurf noch in Neisse gelesen, sich seine Antwort aber aufgespart und ging nun in Rom daran zu erwidern. Dabei legte er den Nachdruck auf die Daten der Beobachtung und die Publikation derselben, und weniger darauf, wer von ihnen die Flecken zuerst gesehen hatte. Der regierende Papst, ein geborener Florentiner und langjähriger Freund Galileis, Urban VIII. (1623-1644), war der fortschrittlichen Gesinnung Galileis zugeneigt und ließ aus seinen Schriften bei Tisch vorlesen. Dies ermutigte Galilei, eine Aussöhnung zwischen Kirche und experimenteller Naturwissenschaft und die Aufhebung des Verbots der kopernikanischen Lehre von 1616 anzustreben. Bereits zu diesem Zeitpunkt aber war Galilei wegen seiner Verteidigung des Systems des Kopernikus von der Kirche ermahnt worden. Er begann seine Arbeit am ” Dialog ” der ihn gänzlich ins Unglück stürzen sollte.

Bei allen Prioritätsstreitigkeiten ist zu beachten, dass in der Wissenschaft der das Prioritätsrecht hat, der die von ihm gefundene Entdeckung zuerst veröffentlicht, nicht der, der sie zuerst erforscht. Wie konnte Galilei, der im dritten Brief an Bürgermeister Welser zugibt, Apelles (also Scheiner) habe keine Kenntnis von seinen Briefen gehabt, als er seine Ansicht über de Natur der Sonnenflecken bereits korrigierte, ihm dann unterstellen, er habe Galileis Erkenntnisse als die von ihm gefundenen veröffentlicht ? Der ganze hässliche Streit war und ist zweifach sinnlos, zumal schon 1610 die ersten Beobachtungen vom englischen Mathematiker Thomas Harriot (ca. 1560-1621) und 1611 von Johann Fabricius (1587- ca. 1615) gemacht wurden. Zur Frage der ersten wissenschaftlichen Publikation, die bei den Prioritätsansprüchen die größere Rolle spielt, gilt festzuhalten, daß Johann Fabricius an erster Stelle genannt wird, da er bereits im Jahre 1611 in einem kleinen Büchlein seine Entdeckung beschrieb. Vordergründig ging es in diesem Streit um die Erklärung der Sonnenflecken, in Wirklichkeit aber hatte der Kampf um das Weltbild des Kopernikus, um das heliozentrische System, seinen Anfang genommen.

Von August 1626 bis 1630 hatte Pater Scheiner Zeit, alle Beobachtungen und Erkenntnisse in seinem umfangreichen, auch für die damalige Zeit zu langatmigen Werk (784 Seiten) in aller Breite darzustellen. Das Werk erhielt den sonderbaren Titel “Rosa Ursina sive sol” (Orsinirose schön wie die Sonne), weil ein Herzog aus dem Geschlecht Orsini 200 Scudi zur Drucklegung vorschoss. Es wird die Sonne mit einer Rose verglichen. Die auf dem Titelblatt dargestellten Rosenstöcke mit den drei in Höhlen sitzenden Bären (ursi), von denen der eine Sonnenflecken auffängt, forderte die Zeitgenossen zu Spott und Kritik heraus. Im ersten Teil beschäftigt sich Scheiner mit der Entdeckung der Sonnenflecken und verteidigt ich mit sichtlichem Behagen in 24 Beobachtungsfehlern gegen die Plagiatsangriffe Galileis. Sie beruhen darauf, daß die Sonnenrotationsachse gegen die Erdbahn ebenso geneigt ist und die Sonnenflecken nicht parallel, sondern mit etwa sieben Grad Neigung sich dagegen bewegen. Wie sehr die Darstellungsweise der Fehler Galilei ärgerte, geht aus dem Brief hervor, in dem Galilei die Bären der Rosa Ursina verspottete. Er bezeichnet Scheiner als “Saukerl und bösartigen Esel, der seine Irrtümer katalogisiere”. Scheiner habe es tollwütig gemacht, dass es ihm (Galilei) allein vorbehalten war, “soviele und große Neuheiten am Himmel zu entdecken”. So böse und gehässig waren in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges auch die Wissenschaftler. Im zweiten Teil beschreibt Scheiner sein Fernrohr “Helioskop”. Es bestand aus einem konvexen Objektiv und einem konkaven Okular, welches entweder durch eingeschobene, plane, farbige Gläser oder durch gefärbte Linsen zur Sonnenbeobachtung präpariert war. Dann beschreibt er die Methode der Projektion der Sonne auf ehe weiße Fläche, wodurch Beobachtungen dieser Genauigkeit in der damaligen Zeit erst ermöglicht wurden. Scheiner hatte damit erstmals das von Kepler entworfene “astronomische Fernrohr” praktisch gebaut. Im dritten Buch fasst er das gesamte, in den Jahren 1618-1627 gesammelte Beobachtungsmaterial zusammen, ergänzt es durch die Beobachtungen seiner Schüler (u.a. Cysat). Illustriert wird dieser Teil noch durch 70 Sonnenbilder im Folioformat. Diese Bilder sollen die Gestalt der Flecken, ihren Weg auf der Sonnenscheibe und zugleich ihre Veränderungen zeigen. Weiter beschreibt Scheiner ein Instrument, welches als ein Vorläufer der heutigen parallaktisch montierten Fernrohre zu bezeichnen ist. Er nennt es “Heliotrop”; es ist auf die Weltachse ausgerichtet und kann um sie gedreht werden. Damit erreichte Scheiner wesentlich bequemer die Projektion der Sonnenscheibe auf ein weißes Blatt und konnte so der Sonnenbewegung folgen.

Das vierte Buch enthält die Theorie der Sonnenflecken und ihre Bewegung mit Rückschlüssen auf die Sonnenbewegung, die er nahezu exakt angibt. Er verweist auf die nicht feste, sondern flüssige Struktur des Tagesgestirns. Er weiß daß die Flecken der Sonne angehören, erkennt den dunklen Kern, die Umbra, den umgehenden Halbschatten, die Penumbra, und die Fackeln, riesige Energieausbrüche neben den dunklen Trichterschlünden geringer Energie und deren Ausgleich. Ganz klar formuliert er den Primat der Beobachtung, wendet sich gegen den von Spekulationen geplagten Geist und fordert den Gebrauch der Sinne. Um so merkwürdiger muten die abschließenden Ausführungen an, um mit seinen Ergebnissen nicht bei den aristotelisch ausgerichteten Glaubensgenossen anzuecken. In diesen, gegenüber den Beobachtungen völlig wertlosen und krampfhaften Zitaten aus der Heiligen Schrift und den Kirchenvätern spiegelt sich Angst vor dem Zeitgeist, aber auch die Weisheit eines Mannes wieder, der die Grenzen der Einsicht der Mitmenschen kennt.

Galilei vollendete 1630 den “Dialogo del flusso e del riflusso” (Dialog über Ebbe und Flut) und wollte die Überlegenheit des kopernikanischen über das ptolemäische Weltsystem darstellen. Er ließ seine Freunde Sagredo und Salviati von den Toten gleichsam auferstehen und mit Simplicio, den Kommentator des Aristoteles über die Weltsysteme diskutieren. Salviati vertritt mit stürmischem Eifer Galileis Auffassung von der Gültigkeit des kopernikanischen Systems, Sagredo mahnt zur Vorsicht und Mäßigung, während Simplicio, was ja der Einfältige bedeutet, das aristotelischptolemäische Weltbild verteidigt. Schließlich obsiegt Simplicio im Disput und erfährt Salviatis Zustimmung, aber mit derart beißender und durchsichtiger Ironie, dass jeder das Gegenteil dieses Sieges klar erkennen kann.

Christoph Scheiner erfuhr von den Angriffen gegen seine Schriften und seine Person in den Dailogen auf eine ganz bezeichnende Art. Als ein Mönch in einem Buchladen sich in Lobesworten über die Dialoge erging, während Scheiner im Laden anwesend war, sah der Buchhändler zu seiner Überraschung wie bei diesen Worten der Pater in Bewegung geriet, die Farbe wechselte und an Leib und Händen aufs heftigste zitterte. Er würde zehn Goldscudi für ein Exemplar des Buches zahlen, um so bald wie möglich antworten zu können. Inwieweit der den hergebrachten Glauben verteidigende Jesuitenorden und Scheiner zu der Verschärfung der Spannungen beigetragen haben, ist unklar und unbeweisbar geblieben. Ob sie Papst Urban VIII. den Hinweis gaben, dass der einfältige Simplicio sein Spiegelbild sei, niemand kann dies klären. Galilei hatte in zwei Briefen im Januar 1633 und nach seiner Verurteilung am 22. Juni 1634, die Jesuiten als “die Gegner” bezeichnet. Doch Pater Scheiner wurde vom Kaiser im März 1633, also vor Galileis erster Einvernahme am 12. April nach Wien beordert. Galilei selbst wurde der Prozess gemacht und am 22. Juni 1633 schwor er dem kopernikanischen System ab. Am 30. Juni begab er sich über Siena in sein Exil in der Nähe von Florenz. Scheiners Einfluss und der der Jesuiten auf die Prozessvorbereitung ist nicht zu klären. Man stützt sich dabei auf die durch den Prioritätsstreit entstandene Animosität der beiden. Eine unmittelbare Beeinflussung des Prozesses gegen Galilei durch Scheiner ist nicht nachzuweisen, aber auch nicht auszuschließen. Bis zu seiner Abberufung lehrte der Jesuitenpater am Collegium Romanum Mathematik und wurde zu verschiedenen naturwissenschaftlichen Fragen um Rat gefragt. Auch wenn es keine genauen Kenntnis über die Beteiligung Scheiners an da Verurteilung Galileis gibt, ist bekannt, dass der Pater sich der Gunst des Heiligen Vaters erfreute.

Als Galilei seinen “Dialogo” in Deutschland erscheinen lassen wollte, erfuhr er über einen seiner Schüler, dass Scheiner der bis 1639 in Wien verblieb, alle seine angestellten Versuche hierzu vereitelt habe. Es wurde vielmehr behauptet, Scheiner arbeite sogar an einem Werk, das die Geschichte der Dialoge, seine Verurteilung und Abschwörung schildere. Tatsächlich vollendete Scheiner in Wien sein letztes Werk “Prodomus” (1636), ein Eintreten für eine bewegte Sonne und eine ruhende Erde. Galilei hätte aus seiner Gefangenschaft und ohne jede Möglichkeit einer Veröffentlichung darauf gar nicht mehr erwidern können. Dieses letzte Werk Scheiners erschien, verzögert durch die Kriegswirren, erst 1651 in Prag, neun Jahre nach Galileis und ein Jahr nach Scheiners Tod und ohne jede Stellungnahme zur Verurteilung des Florentiners.

Aus Scheiners letzten Lebensjahren, er war inzwischen 66 Jahre alt geworden, ist den Quellen nur weniges zu entnehmen. Von 1636 an lebte er in Neisse. Die schrecklichen Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges schnitten die Verbindungen zu den früheren Wirkungsstätten ab. Frei von allen schulischen Verpflichtungen, nur seelsorgereischer und wissenschaftlicher Tätigkeit hingegeben, verbrachte er am dortigen Jesuitenkolleg, seiner Schöpfung, seine dreizehn letzten Lebensjahre als Berater und Beichtvater. Es gilt als verbürgt, dass ihn am 16. Juli 1650 ein Schlaganfall traf; in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli verstarb er und wurde in Neisse beigesetzt.

Christoph Scheiners fachwissenschaftlicher Streit mit Galileo Galilei galt in der damaligen Zeit mehr als nur eine der üblichen Professorenfehden, die Divergenz erhielt eine geschichtliche Dimension dadurch, dass sie zu einer großen Auseinandersetzung um das neue kopernikanische Weltbild einerseits und um die Autorität des Aristoteles und der Heiligen Schrift andererseits wurde und damit zum Ausgangspunkt einer heraufziehenden Konfrontation zwischen christlichem Glauben und wissenschaftlichem Denken in der Zeit der Aufklärung. Für den im christlichen Glauben verwurzelten Jesuiten Scheiner muss es sicher schwierig gewesen sein, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Entdeckung der Sonnenflecken mit der offenkundigen Loyalität zu seinem Orden und seiner Kirche in Einklang zu bringen und so dem traditionellen aristotelischptolemäischen Weltbild des Mittelalters Rechnung zu tragen. Der Mathematiker Scheiner hat leider nicht darauf hingewiesen, dass die Erklärbarkeit der Sternbewegungen nach den zwei Systemen, die ja auch in Rom die entscheidenden Richter und Sachverständigen kannten, ein Urteil über die Gültigkeit noch nicht zuließ. Er hätte mit dem ganzen Gewicht seines Ansehens und der von ihm mutig vertretenen Ansicht, dass deduktive Apriori-Ableitungen wertlos sind, warnen können, die Galileische, nicht widerlegbare Ansicht mit so nichtigen Günden abzutun und verurteilen zu lassen, wie mit Zitaten aus der Heiligen Schrift, deren Bildersprache und Symbolverständnis dem so gründlich arbeitenden Theologen des Collegiums Romanum nicht entsprechen konnten. Hier ist eine Sternstunde der Menschheit ungenutzt verstrichen, hat eine erkennbare, unzulässige Begründung die theologischen Richter unglaubwürdig gemacht und die unselige Trennung von Geistes- und Naturwissenschaften herbeigeführt.

Scheiners Rolle bei der Verurteilung der Forschungsergebnisse seines großen Gegenspielers, vor allem die zornige Polemik gegen ihn, als dieser bereits durch die Inquisition abgeurteilt war, resultierte wohl daraus, dass er nicht fähig war, aus grundsätzlich kirchenkritischer Haltung heraus so revolutionäre Theorien aufzustellen, wie dies Galilei und seine Anhänger taten. Dass der berühmte Professor Scheiner auch dann noch gegen Galilei und seine Ansicht zu Felde zog, als dieser, erblindet, in der Hafteinsamkeit zum Schweigen verurteilt, sich nicht mehr wehren konnte, bleibt unverständlich. Ob ihm dabei der Stolz über die eigenen Erfolge, die allseitige Anerkennung und die Gunst der Fürsten bis zu Kaiser und Papst blendeten, ob Erbitterung über die erlittene Beleidigung, ob Altersstarrsinn ihm den Versöhnungsweg versperrten, wir wissen es nicht. Seine Zeitgenossen standen vor einem Rätsel. Denn der wirklich beweiskräftige Beleg für die Richtigkeit des heutigen “heliozentrischen Systems” und die Erde dreht sich doch um die Sonne konnte erst viel später mit wesentlich verbesserten Instrumenten im 19. Jahrhundert erbracht werden. Berücksichtigt man die schweren Zeitverhältnisse und die groteske gegenseitige Grobheit auch unter Wissenschaftlern, so erscheint dieses menschliche Versagen in milderem Licht: ein großer Gelehrter, ein hervorragender Praktiker, ein uneigennütziges Mitglied des Jesuitenordens, da jede gewährte Gnade nicht für sich, sondern für den Orden nutzte und der tief verletzt wurde, als ein anderer Großer ihm seine Leistung bestritt und sie als Diebstahl fremden Eigentums hinstellte.

Text und Bilder entnommen aus der Festschrift zum 425jährigen Jubiläum von Christoph Scheiner, verfasst von Michael Endler.